BDÜ-Konferenz „Übersetzen und Dolmetschen 4.0: Neue Wege im Digitalen Zeitalter: Die Nachlese
Else Gellinek
- November 29, 2019
- 7 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Vom 22. bis zum 24. November 2019 fand die internationale Fachkonferenz des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) in Bonn statt. Findet so eine große Tagung in meiner Nähe statt, bin ich natürlich dabei!
Allgemeiner Eindruck
Die gesamte Veranstaltung fand vor der wunderbaren Kulisse des World Conference Center in Bonn statt. Einige Vorträge sogar im Plenarsaal des alten Bundestags – seriöse Räumlichkeiten für ernste Themen, die besprochen wurden.
Und die Konferenz war einem ernsten Thema gewidmet: der Zukunft der Übersetzer- und Dolmetscherberufe. In den letzten Jahren haben der digitale Wandel und der technologische Fortschritt rasante Änderungen im Berufsbild und in der Arbeitsweise von Sprachmittler*innen vorangetrieben. Dazu wurde vorgetragen, diskutiert und sowohl ermutigend als auch teilweise entmutigt gesprochen.
Die Organisation, der Ablauf und das Catering waren wie erwartet ganz wunderbar. Selten habe ich so viele leckere Sachen von so vielen nett lächelnden Menschen überreicht bekommen.
Zusätzlich schenkte mir die günstige Lage meiner Unterkunft jeden Morgen einen schönen Spaziergang am Rhein. Die Sonne schien, am World Conference Center gab es Kaffee und dann ging es gestärkt in die Veranstaltungen!
Etwas unglücklicher war, dass ich ausgerechnet am Anreisetag mit einer dicken Erkältung aufgewacht bin und etwas lädiert zur Konferenz reisen musste. Jegliche Abendveranstaltungen fielen dadurch flach, was sehr schade ist. Ich hoffe sehr, dass ich niemanden angesteckt habe!
Inhalte
Worum ging es nun bei der Konferenz? Die Präsentationen und Workshops der drei Tage waren in neun Themenblöcke eingeteilt:
- Künstliche Intelligenz: Auswirkungen auf die Zusammenarbeit von Übersetzern und Dolmetschern mit ihren Kunden
- Produktion von Content im Zeitalter der Industrie 4.0
- Maschinelle Übersetzung, Computer Assisted Translation, Terminologie und Tools
- Fachsprachen und maschinelle Übersetzung
- Dolmetschen
- Kompetenzen und Marktpositionierung
- Marktpositionierung und Marketing
- Datenschutz
- Ergonomie, Gesundheit, Altersvorsorge
Auch beim Überfliegen sticht die Allpräsenz der maschinellen Übersetzung ins Auge.
Sie war tatsächlich auch in aller Munde. Auf der 2014 FIT-Konferenz in Berlin hatte hierzu eher Ablehnung und Misstrauen geherrscht. Dieses Jahr in Bonn war der Tenor eher, dass sich die maschinelle Übersetzung im Markt etabliert hat. Nun liegt es an den Übersetzer*innnen, wie sie damit umgehen wollen. Wollen sie sich die Technik zu Nutze machen, indem sie beispielsweise PEMT anbieten oder selber (N)MÜ für ihre Übersetzungen nutzen? Oder wollen sie sich in Bereichen positionieren, wo MÜ (noch) keine Rolle spielt? Eine klare Haltung der Mehrheit war auf jeden Fall, dass die maschinelle Übersetzung nicht ignoriert werden kann. Kaum jemand ist mit ihr noch nicht in Berührung gekommen. Es ist die Aufgabe der Übersetzer*innen, als Experten ihre Kunden über realistische Leistungen von MÜ aufzuklären.
Es gab so viele interessant klingende Veranstaltungen. Einige mit begrenzter Teilnehmerzahl habe ich verpasst, da ich dort keinen Platz bekommen habe. Mit einer anderen Auswahl an Workshops und Kurzseminaren hätte ich vielleicht die Konferenz ganz anders erlebt. Wer weiß? Ich bin also auf die Zusammenfassungen der anderen Veranstaltungen im Tagesband gespannt.
Klare Erkenntnis, die natürlich schon vorher galt, ist, dass Übersetzer*innen Technik nutzen und nicht fürchten sollen. Die Arbeit ändert sich und wir müssen uns mitentwickeln, sonst werden wir abgehängt. Lebenslanges Lernen bliebt Pflicht, da die Welt sich nun mal rasant ändert. Aber – Hands aufs Herz – wer will schon 45 Jahre immer dasselbe machen?
In ihrem Schlusswort zur Konferenz hat Nina Sattler-Hovdar passenderweise betont, dass die maschinelle Übersetzung eine große Chance bedeutet – und zwar dass Übersetzer*innen wieder als Expert*innen in Erscheinung treten können. Wenn Maschinen die alltägliche Arbeit übernehmen, dann werden Menschen wieder für das Anspruchsvolle und Kreative zuständig sein. Das sind doch gute Aussichten!
Meine Lieblingsveranstaltungen
Trotz der Dominanz der Themen zu maschineller Übersetzung waren meine drei Tage in Bonn weniger stark darauf ausgerichtet. Stattdessen lag mein Augenmerk auf der Positionierung in kreativen Übersetzungsbereichen. Als Übersetzerin für Marketing und Werbung liegt das aber auch nah.
Katja Althoff, Texte für Mensch und Maschine: SEO-optimiertes Übersetzen
Katja hat vor einem vollen Saal einen außerordentlich gut strukturierten und nachvollziehbaren Workshop zur Vorgehensweise bei SEO-optimierten Übersetzungen gehalten. Wer denkt, dass SEO-Übersetzungen einfach nur aus Keyword-Arbeit bestehen, hätte bei Katja im Raum sitzen sollen. Sie hat sehr klar dargelegt, dass SEO-Texte immer zwei Zielgruppen haben: menschliche Leser und Suchmaschinen, die diesen Text möglichst prominent in den Suchergebnissen platzieren sollen. Die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mensch und Suchmaschine gilt es in gelungenen SEO-Übersetzungen zu befriedigen.
Dieser Vortrag hat einen klaren Gegenentwurf zu den Befürchtungen dargestellt, dass Übersetzer*innen bald durch Computeralgorithmen abgelöst werden. SEO-Übersetzungen sind eine Kombination aus Transkreation, Copywriting, Recherche und Textanalyse. Das wird so schnell nicht der Menschenhand entrissen werden.
Wer mehr wissen möchte, kann Katjas Artikel im Tagungsband lesen. Sie hat auch großzügigerweise auf ihrem Blog die Präsentation bereitgestellt. Dazu gibt es noch eine kostenlose Checkliste für SEO-Übersetzungen.
PS Marion Rhodes Vortrag „SEO-Übersetzungen: lukrative Nische mit Zukunftspotential“ ist die ideale Ergänzung. Auch ihr Artikel im Tagungsband liefert gute Informationen für Übersetzer*innen, die sich mehr Kenntnisse auf diesem Gebiet wünschen. Auf ihrer Website hat sie eine englische Zusammenfassung ihres Vortrags mitsamt Link zu einer deutschen Zusammenfassung und den Vortragsslides zur Verfügung gestellt.
Elizabeth und Dave Naithani, Nischen und die Kraft des Internets: Wie Sie eigene Nischen finden und darüber mehr (Direkt-)Kunden gewinnen
Liz und Dave lieferten gutgelaunte anderthalb Stunden, in der sie aus unternehmerischer Sicht erklärten, wie Nischen helfen, die Zielgruppe einzugrenzen. Dadurch fällt es leichter, diese Zielgruppe strategisch anzusprechen und sich online zu positionieren. Wer also erfolgreich eine Nische besetzt, profitiert davon, dass mehr Kunden zu einem finden, auch wenn insgesamt weniger Menschen nach dieser Nischendienstleistung suchen werden.
Auch hier war von SEO die Rede: Wer die Fragen kennt, die die Zielgruppe bewegen, kann sie in Blogartikeln aufgreifen (also die entsprechenden Keywords verwenden) und so gezielt für die Zielgruppe in Suchergebnissen präsent sein. So finden Kund*innen leichter zu einem und das ist schließlich genau das, was wir wollen.
Inhaltlich wurde hier das Rad nicht neu erfunden, aber darum geht es nicht. Dass SEO irgendwie für die Online-Auffindbarkeit wichtig ist, wissen wir ja alle. Liz und Dave haben in diesem Seminar an einem konkreten Beispiel gezeigt, wie sie selber vorgegangen sind. Sehr einleuchtend!
Am besten gefiel mir aber, dass die beiden ein Worksheet für uns Teilnehmer entwickelt hatten. Auf zwei DIN-A-4-Seiten hatten sie Ideen und Ansatzpunkte für eine Nischenfindung gesammelt. Und dazu gab es Fragen, die uns helfen, Nischenideen aus unserer eigenen Expertise und aus Markanalysen zu formulieren. Wir bekamen bereits während des Seminars 15 Minuten, um erste Überlegungen dazu anzustellen.
Diese Fragen werden mich im heimischen Büro aber noch eine ganze Weile länger beschäftigen. Die eigene Positionierung zu überdenken sollte sowieso eine regelmäßige Aufgabe sein – nicht nur in Zeiten des extern bedingten Wandels. Die Gedanken auf dem Worksheet bieten gute Anhaltspunkte dafür, mit offenen Augen durch das (Berufs-)Leben zu gehen und mögliche Chancen zu erkennen.
Auch hier wurde die Präsentation auf die Website gestellt, aber wer dabei sein konnte, ist klar im Vorteil.
Andere Berichte über die Konferenz
Große Konferenzen bieten eine solche Bandbreite an Veranstaltungen, dass keiner alles sehen kann. Darum freue ich mich, dass andere Teilnehmer*innen auch ihre Konferenzeindrücke veröffentlicht haben.
Fabio Saids Konferenzzusammenfassung
Sind mir weitere Konferenzberichte entgangen? Ich trage sie hier gerne nach.