Ihnen gefällt „etwas“ an der Übersetzung nicht. Was nun?
Else Gellinek
- September 9, 2015
- 4 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Oh Schreck, die fertige Übersetzung ist da und Sie sind nicht ganz zufrieden! Diese Situation ist weder für den Kunden noch für den Übersetzer angenehm. Sie sollte zügig geklärt werden. Denn sonst schmilzt schnell der Vertrauensvorschuss dahin, den wir Übersetzer genießen.
Drei Fragen helfen, das Problem genauer einzukreisen und so der Lösung näherzukommen.
1. Was genau gefällt Ihnen nicht?
Entweder haben Sie an einer bestimmten Stelle etwas auszusetzen oder es überkommt Sie ein ungutes Gefühl, wenn Sie den Text im Allgemeinen anschauen.
Kategorien der Beanstandung
a. Hier besteht Nachbesserungsbedarf:
- Formatfehler: Der Text hat sich verschoben oder ist nicht mehr sichtbar. Die Formatierung der Überschriften oder die Schriftart ist nicht konsequent übernommen.
- Auslassungsfehler: Teile des ursprünglichen Textes fehlen, ohne dass der Übersetzer das begründet hat. Texte in Graphiken sind nicht übersetzt worden.
- Grammatik-, Zeichensetzungs- oder Tippfehler: Produkt- oder Firmennamen sind nicht korrekt geschrieben. Die Zeichensetzung ist nicht stringent durchgehalten.
- Sach- und Inhaltsfehler: Der Übersetzer hat den zu übersetzenden Text nicht richtig verstanden und daher z.B. einen Arbeitsablauf falsch interpretiert.
b. Hier besteht Gesprächsbedarf:
Die Übersetzung ist zu nah am Ausgangstext: Die deutsche und die englische Sprache besitzen viele Gemeinsamkeiten. Das erschwert es dem Übersetzer, den übertragenen Text einzuschätzen. Manchmal nutzt der Übersetzer im Englischen eine dem Deutschen sehr ähnliche Wendung; manchmal muss man sich mutig vom deutschen Text lösen, um eine natürlich klingende Formulierung im Englischen zu finden.
- Die Übersetzung ist zu weit vom Ausgangstext entfernt: Idealerweise hinterlassen Übersetzer Kommentare oder sprechen mit ihren Kunden, wenn sie die Übersetzung zielgruppengerecht anpassen. In manchen Fällen ist es somit sinnvoll, die Texttreue den kommunikativen Erwartungen der Leser unterzuordnen.
- Sie beurteilen eine bestimmte Formulierung mit Hintergrundwissen, das dem Übersetzer nicht zur Verfügung stand. Dies trifft z.B. zu, wenn das Unternehmen informell eine bestimmte Terminologie bevorzugt. (Dieses Wissen ist auch für spätere Übersetzungen sehr hilfreich.)
- Sie haben eine alternative Übersetzung im Sinn: Sie würden in der Übersetzung etwas anders formulieren oder den Blick eher auf einen anderen Aspekt richten. Zudem vermissen Sie ein bestimmtes Wort im Text.
- Die Formulierung bzw. der Schreibstil gefallen Ihnen einfach nicht: Ein Satz klingt vielleicht umständlich oder zu förmlich.
2. Woran kann es liegen, dass Sie etwas auszusetzen haben?
Ursachenforschung hilft, zukünftige Reklamationen zu vermeiden.
- Irren ist menschlich: Manchmal passieren trotz bester Voraussetzungen Fehler. Das kann kein Übersetzer bestreiten.
- Unklarheiten im Ausgangstext: Sätze ermöglichen mehrere Lesarten, ohne dass es unbedingt dem Verfasser oder Übersetzer auffällt – es sei denn, beide legen eine andere Lesart zugrunde. Ist ein Vorgang nicht deutlich genug beschrieben, besteht die Chance, auch den deutschen Text zu optimieren.
- abweichende Textversionen: Sie haben am deutschen Text Änderungen vorgenommen, nachdem der Übersetzer die Arbeit aufgenommen hat. Die aktuellste Fassung zur Übersetzung lag folglich nicht vor.
- mangelnde Kommunikation: Vieles lässt sich bereits während des Übersetzens besprechen oder thematisieren. Idealerweise stellen wir Übersetzer rechtzeitig unsere Fragen und erhalten im Gegenzug auch rechtzeitig die erforderlichen Antworten. Ansonsten sollten Anmerkungen des Übersetzers im Text bestimmte Entscheidungen erläutern.
- Fragen des Geschmacks: Sprache ist ein flexibles Instrument. Ein Sachverhalt lässt sich auf ganz verschiedene Weisen ausdrücken. Je besser sich Kunde und Übersetzer kennen, desto präziser ist eine Übersetzung genau nach Wunsch anzufertigen.
3. Wie geht es weiter?
Fehler sind Fehler und sollten natürlich korrigiert werden. Überlegen Sie gemeinsam mit dem Übersetzer, wie sich der Text optimieren lässt, wenn Ihnen bestimmte Stellen unklar sind oder Sie andere Formulierungsvorschläge bevorzugen. Kennt der Übersetzer die Gründe für Ihre Nachfragen oder Kritik, kann er Änderungsvorschläge viel besser auf Sie abstimmen.
Je genauer Sie sagen können, was Ihnen nicht gefällt, desto produktiver können Sie den Text besprechen. Setzen Sie nach Möglichkeit Kommentare direkt an die betreffenden Textstellen.
- Für ganz vertrackte Fälle: Es gibt immer die Möglichkeit, eine dritte Person als Gutachter einzubeziehen. Manchmal ist es für beide Parteien leichter, wenn ein Unbeteiligter den Text und dessen Qualität bewertet. (Dieser Fall tritt glücklicherweise eher selten ein.)
Verlassen Sie sich nicht ausschließlich auf die schriftliche Kommunikation. Mit einem Telefonat lassen sich viele Punkte gemeinsam – und schneller – klären.
Übersetzungen sind keine Einbahnstraße, sondern ein Prozess, an dem Übersetzer und Kunden beteiligt sind. Sie wollen mit der Übersetzung zufrieden sein – und uns Übersetzern ist es auch lieber, wenn Sie nur Gutes von uns denken.