Typischer Fehler! Oder doch nicht? (Update)
Else Gellinek
- November 22, 2019
- 5 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Deutsches „Training“ versus englisches „training“
Update: November 2019
Zwischen dem Englischen und dem Deutschen gibt es viele falsche Freunde und Sprachfallen, die besonders gerne auftreten, wenn deutsche Muttersprachler auf Englisch schreiben.
Die deutsche Verwendung von „Training“ im Sinne von „Schulung“ oder „Weiterbildungsveranstaltung“ gilt eigentlich als klassisches Beispiel. Im Deutschen ist „Training“ ein normales zählbares Substantiv mit regelhafter Pluralbildung: „ein Training“, „mehrere Trainings“. Auch wenn Sie kein Neudeutsch mögen, ist diese Verwendung unauffällig.
Englische Muttersprachler*innen beurteilen das Wort „trainings“ in englischen Texten häufig als falsch. Die Verwendung wird als typisch deutscher Fehler belächelt, der auftritt, wenn deutsche Muttersprachler*innen auf Englisch schreiben. Nach der Meinung vieler amerikanischer und britischer Muttersprachler*innen gibt es dieses Wort im Englischen nämlich nicht. Besonders stark vertreten Sprecher*innen diese Meinung, die beruflich mit Sprache arbeiten und eine andere Regel gelernt haben.
Der Kern des Problems: Im Englischen wird „training“ traditionell als ein unzählbares Substantiv behandelt, wofür es keinen Plural gibt. Es beschreibt also die Gesamtheit der Qualifikationen oder Qualifikationsmaßnahmen – ähnlich wie das Wort „Bildung“ im Deutschen. Eine Pluralform von „Bildung“ würde sich für ein deutsches Ohr ganz komisch anhören. „Bildungs“? „Bildungen“? So ähnlich schräg mag sich das Wort „trainings“ für viele Amerikan*erinnen und Brit*innen anhören.
Allerdings ist Sprachgefühl nie ein guter Indikator für die tatsächliche Sprachverwendung. Die eigene Sprachintuition sagt mir nur, was mir als Einzelperson richtig erscheint. Es müssen also harte Fakten her.
Die Beweislage
Google Ngram Viewer
Bemüht man den Google Ngram Viewer und sucht nach Vorkommen von „training“ und „training“ im Zeitraum zwischen 1800 und 2008, fällt das Ergebnis recht eindeutig aus: Die Verwendung der Pluralform „trainings“ tritt markant weniger häufig auf als die Verwendung der Singularform „training“.
Insgesamt kommt „training“ 235-mal so oft wie „trainings“ vor.
Der Google Ngram Viewer durchsucht allerdings einen Korpus aus digitalen Büchern, vornehmlich aus dem akademischen Bereich. Und die neusten Belege sind bereits 10 Jahre alt. Hier werden also nur ältere Fundstellen aus Büchern angegeben.
Für gesprochene Sprache sind 10 Jahre eine halbe Ewigkeit, in der merkliche Änderungen auftreten können. Nun höre ich im gesprochenen Amerikanischen immer häufiger, dass dort auch „trainings“ benutzt werden. Diese Verwendung höre ich viel im Wellness- und Yogabereich, aber auch in Gesprächen von Journalisten, die beispielsweise von „trainings“ für Mitarbeiter an politischen Kampagnen sprechen. Das neuste Vorkommnis ist eine Werbebotschaft eines amerikanischen Trainers für Werbetexter, der von „trainings“ spricht. Trotz oder vielleicht gerade wegen seiner täglichen Arbeit mit Sprache nutzt er diese scheinbar falsche Pluralform.
American Corpus of Contemporary English
Ich habe also eine weitere Quelle zu Rate gezogen: den öffentlich zugänglichen Corpus of Contemporary American English (COCA). Er sammelt Sprachdaten aus gesprochener und geschriebener Sprache aus einer ganzen Bandbreite von Lebensbereichen. Hier ist also eine breitere Palette an Themenbereichen und Sprachniveaus vertreten, so dass die Sprachbelege vielfältiger sein sollten. Die letzten Daten kommen aus 2017, sind also immerhin ein paar Jahre aktueller als die von Google Ngram. Welche Ergebnisse finden sich nun in den circa 560 Millionen Wörtern des Corpus?
- COCA-Ergebnisse „training“: 76.437 Treffer (wobei diese Ergebnisse auch die Verbform „training“ enthalten“)
- COCA-Ergebnisse „trainings“: 324 Treffer
- Immer noch eine verschwindend geringe Menge. Die Singularform kommt also 236-mal häufiger vor. Da ist sich COCA mit Google Ngram recht einig.
- Für diese Wortform finden sich Belege aus Zeitungen, Magazinen wie Mother Jones, wissenschaftlichen Zeitschriften und aus gesprochener Sprache.
- Bemerkenswert ist, dass es hierfür Fundstellen in akademischen Zeitschriften gibt, hauptsächlich aus dem pädagogischen Bereich, aber auch in renommierten Zeitschriften wie der „American Journal of Public Health“. Eigentlich vertreteten gerade alteingessessene Medien eher konservative Sprachhaltungen.
iWeb Corpus
Weiter gehts mit einem Korpus von Sprachformen, die weniger stark von Sprachinstanzen kontrolliert werden: Der iWeb-Corpus der englischen Sprache ist ein Korpus von Sprachquellen aus dem Web. Internetsprache wird oft als Zwischenwesen betrachtet. Flüchtiger als Schriftsprache, aber trotzdem keine reine gesprochene Sprache. Ein Blick in den Corpus zeigt für „trainings“ 29.303 Treffer aus den insgesamt 14 Milliarden Wörtern. „training“ ist hingegen 3.108.659-mal vertreten – nur noch 106-mal so oft.
Wenig erstaunlich, dass im Web mehr Belege für eine neue Sprachform als in konventionellen Printmedien zu finden sind.
Quo vadis „trainings“?
Was geht hier vor? Spekulativ gedacht: Vermutlich geht der Sprachwandel dahin, dass eine kürzere Form – „trainings“ – gegenüber den längeren Formen „training sessions/events/etc.“ – den Vorzug bekommt.
Wie immer bei Veränderungen gibt es hier Verfechter der alten Regel, denen pragmatische Unterstützer der neuen Form gegenüberstehen. Einigkeit herrscht hier noch lange nicht.
Heißt das, dass das Äquivalent zum denglischen „Trainings (pl.)“ nun überall frei nach Schnauze in englischen Texten eingesetzt werden sollte? Fraglich. Noch ist diese Form nicht in die Standardsprache übergegangen und erst recht nicht in die Schriftsprache. Die Verwendung der Pluralform ist nach wie vor deutlich geringer als die der Singularform „training“.
Je bleibender eine Veröffentlichungsform ist desto konservativer werden in ihr Sprachkonventionen und -regeln befolgt. Buchverlage trennen sich langsamer von veralteten Regeln als es Onlinezeitungen tun werden, und Blogger*innen werden vielleicht noch schneller neue Sprachformen aktiv verwenden. Die gesprochene Sprache bleibt immer Motor des Sprachwandels. Hier passieren die Veränderungen, die sich mit einiger Verspätung in der Schriftsprache niederschlagen.
Tipp: Bis es hier mehr Einigkeit gibt, würde ich im schriftlichen Englisch „training“ weiterhin als unzählbares Substantiv behandeln. Es kann aber nicht schaden, näher hinzuhören, wo die Pluralform in Zukunft überall auftauchen wird. Schließlich wollen Sie im Englischen nicht altmodisch klingen!