Übersetzungen eben selber machen: eine gute Idee?
Else Gellinek
- Mai 14, 2020
- 5 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Ist Selbermachen wirklich preiswerter?
Kleine Unternehmen mit innovativen Ideen liegen mir sehr am Herzen. Hier arbeiten Menschen, die eine Idee hatten, wie sie einen kleinen Aspekt unserer Welt verbessern könnten.
Allerdings: Wer sich viel auf den internationalen Internetpräsenzen dieser kleinen Unternehmen herumtreibt, erkennt schnell das Folgende: Ein Publikum außerhalb von Deutschland soll angesprochen werden, ohne dass im Budget Geld für Übersetzungen verfügbar ist. Dann werden die Übersetzungen oft selbergemacht oder von hilfreichen Bekannten erledigt. Das spart Geld und erweitert die potentielle Zielgruppe. Oder?
Leider kommen optimale Ergebnisse so selten zustande. Den meisten Übersetzungen, die so entstehen, merkt man an, dass keine Profis am Werk waren.
Übersetzungsfallen für Laienübersetzer*innen
Was sind typischen Indizien für Übersetzungen von ungeübten Übersetzer*innen?
- Falsche Freunde: Wörter, die im Englischen so klingen wie im Deutschen, von denen man annehmen könnte, dass sie die richtige Übersetzung sind. Dem ist aber nicht so. Da ist jemand einem falschen Freund aufgesessen. Das klassische Beispiel ist das deutsche Wort „Handy“, welches im Englischen „cellphone“ oder „mobile phone“ heißt. „Handy“ bedeutet im Englischen so viel wie „praktisch“. Es gibt auch subtilere falsche Freuden. Nehmen wir das deutsche Wort „delikat“, was „erlesen“, „fein“ oder „köstlich“ bedeutet. Das englische „delicate“ wird häufig und irrtümlicherweise als die korrekte Übersetzung gesehen – nur selten ist das so. Im Englischen heißt „delicate“ eher „zierlich oder „zerbrechlich“. Eine „delicate cut of meat“ ist folglich ein „zartes Stück Fleisch“ und kein „delikates Stück Fleisch“. Hier wird also auf die Textur und nicht auf den Geschmack eingegangen.
- Deutsche Satzstrukturen im englischen Text: Englisch funktioniert nicht so wie Deutsch. Die aufwändige deutsche Grammatik bietet mehr Raum für variable Satzstrukturen.
Im Englischen hingegen wird viel über die Wortreihenfolge kommuniziert, da es die grammatischen Markierungsmöglichkeiten des Deutschen nicht gibt. Erfahrene Übersetzer*innen wissen, dass die deutschen Sätze im Englischen aufgebrochen und umgebaut werden müssen, damit sie verständlich bleiben. Unerfahrene Übersetzer*innen hangeln sich an der deutschen Wortfolge entlang und hinterlassen im Englischen unklare Bandwurmsätze. Wer Deutsch spricht und diesen missglückten englischen Sätzen in der freien Wildbahn begegnet, weiß sofort, wie sie zustande kamen. - Im Synonymwörterbuch verrannt: Stellen Sie sich vor, dass Sie einen Brief von einer Behörde bekommen. Dann würden Sie sich sehr wundern, wenn dort vereinzelt Wörter aus der Jugendsprache stehen anstelle der erwarteten Behördensprache. Wie kann so etwas passieren? Vielleicht hat jemand nach Alternativformulierungen geschaut, um Wiederholungen zu vermeiden. Englisch ist eine wortreiche Sprache. Es gibt viele Wörter, die eine gleiche Sache beschreiben und als Synonyme gehandelt werden. Echte Synonyme sind allerdings rar. Im Englischen schwingt fast immer eine abweichende Bedeutungskomponente mit, die ungeübte DIY-Übersetzer*innen nicht kennen oder nicht beachten. Suchen also Laien in Wörterbüchern nach Übersetzungen für bestimmte Wörter, finden sie dort oft unkommentiert mehrere Vorschläge. Man kann aber nicht nach Gusto den Lieblingsvorschlag wählen, sondern muss die idiomatische Lösung nehmen. Ungünstig, wenn die Idiomatik unbekannt ist. Dann kann man schon danebengreifen und Stilbrüche oder Bedeutungsverschiebungen produzieren, die den Muttersprachler*innen sehr wohl auffallen.
Geübte Übersetzer*innenaugen erkennen diese übersetzerischen Fallstricke und wissen, was eigentlich gemeint war. Aber was ist mit Leser*innen der Übersetzung, die kein Deutsch sprechen, also mit der Zielgruppe? Sie haben keine Beziehung zu dem deutschen Originaltext. Sie sehen nur kopfschüttelnd die merkwürdige Wortwahl.
Als Vergleich: Haben Sie schon mal ein Gerät gekauft und gelacht oder vielleicht auch geflucht, weil die deutsche Anleitung völliger Nonsens war (vermutlich maschinell übersetzt)? Genau so wirken schlechte englische Übersetzungen auf Muttersprachler*innen. Die Übersetzungen haben dann vielleicht nichts gekostet, aber bringen tun sie einem eigentlich auch nichts. Ist das der gewünschte Effekt der Übersetzung? Ich denke nicht.
Was ist das Problem?
Nun ja, ich kaufe nicht gerne bei Unternehmen, die so wirken, als wäre ich ihnen egal. Websites mit fehlerhaften oder verwirrenden Texten werden direkt mit dem nächsten Klick verlassen. Für das jeweilige Unternehmen bin ich nur ein Datenpunkt in ihrer Bounce Rate. Für mich gerät das Unternehmen schnell in Vergessenheit. Mich länger mit dem Angebot beschäftigen tue ich sicherlich nicht. Eine verschwendete Chance für das Unternehmen!
Welche Reaktionen möchten wir mit unseren Websitetexten erreichen? Schlussendlich wollen wir verkaufen. Dafür müssen aber unsere Leser*innen sich verstanden fühlen. Durch unsere Texte kommunizieren wir, dass wir ihr Problem verstanden haben und lösen können. Wie sollen wir mit den Leser*innen kommunizieren, wenn wir nicht mit ihnen auf Augenhöhe sprechen?
Wie es gehen könnte
Drehen wir den Spieß um. Hier in Deutschland sind wir gewohnt, dass internationale Marken ihre Webpräsenzen für uns anpassen. Niemand erwartet hier, englischsprachige Texte lesen zu müssen.
Nehmen wir ein aktuelles Beispiel aus den Zeiten der Corona-Krise. Die englische Körperpflegemarke Lush betreibt eigene Websites für individuelle Länder. Auf den jeweiligen Webseiten sind auf die Zielgruppe angepasste Mitteilungen, warum auch der Online-Shop zur Zeit nicht ausliefern kann. Schauen Sie mal die deutsche Version im Vergleich zum englischen Original an:
Im direkten Vergleich kann man gut sehen, wie die Seiten auf die Zielgruppe zugeschnitten sind. Die englische Version hat einen kleinen Witz – eine Tonalität, die die gesamte UK-Website bestimmt – während der deutsche Hinweis eher sachlich und informativ gehalten ist. Auch in diesem Fall ist die Tonalität der gesamten deutschen Website weniger von schmunzelnden Wortwitzen als von einem Willen zur Information geprägt.
Fazit: Gut gemacht! Die einzelnen Zielgruppen sind im Augenmerk der jeweiligen Websites. Lush speist deutsche Käufer*innen nicht mit einer schlechten Übersetzung der englischen Inhalte ab. Wenn alle deutschen Unternehmen doch genauso wertschätzend mit ihrer englischsprachigen Kundschaft umgingen!
Liebe Else – wie immer ein sehr fundierter und informativer Beitrag, dem ich aus vollem Herzen zustimme. Aus meiner Sicht wäre es sehr wichtig, dass vor allem kleine Unternehmen den Punkt „Übersetzung“ von Anfang an auf dem Schirm haben. Oft denkt der Projektmanager ja erst an die fremdsprachige Dokumentation, wenn die Maschine zur Auslieferung auf den LKW verladen wird. Und dann folgt jahrelang ein Schnellschuss aus der Hüfte auf den anderen. Dabei gibt es so viele Sprachexpert*innen, die wüssten, wie man zum Beispiel eine gute firmeninterne Terminologie pflegt, auf die auch die Mitarbeiter*innen bei ihrer Kommunikation zugreifen können, wie man die Dokumentation schon im Deutschen so aufbauen kann, dass die Übersetzung hinterher schneller geht und besser wird (Stichwort CAT-Tools), wie man das Ganze dann so anwendet, dass man seine Geschäftsgeheimnisse eben NICHT irgendwelchen Maschinenübersetzungstools in den Rachen wirft und so weiter…
Hallo Heike, ja, das stimmt! Ab einem gewissen Punkt wird das Aufräumen der alten Schnellschüsse auch deutlich aufwändiger und teuerer als es die ursprünglichen Übersetzungen mitsamt Termbankpflege gewesen wären. Sehr frustierend für alle Beteiligten!