Warum haben Sie das so übersetzt?
Else Gellinek
- November 6, 2015
- 3 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Nachfragen ist keine Wortklauberei
Interessierte Kunden fragen gelegentlich, warum ich eine bestimmte Formulierung gewählt habe. Hier wird die Schnittmenge zwischen dem Schönen und dem Schwierigen an der Arbeit mit Sprache offenbar – nämlich, dass es viele sprachliche Verpackungen für ein und dieselbe Botschaft gibt.
Ich finde, dass Sie sich nicht scheuen sollten, nachzufragen. Und ich verrate Ihnen etwas: Wir Übersetzer wissen alle, dass kein Übersetzer und keine Übersetzerin jemals die gleiche Übersetzung eines Textes abliefern wird. Wenn wir uns schon in Übersetzerkreisen nicht auf die beste Lösung einigen können, dann sollten wir uns auch nicht zieren, mit unseren Kunden über unsere Texte und unsere Wortwahl zu sprechen. Der Austausch mit Ihnen schützt mich vor Betriebsblindheit und hilft mir zu erkennen, welche Fragen bei Ihnen aufkommen können.
Warum Sie mich nach der Wortwahl fragen könnten
- Sie hatten bereits eine Idee, wie etwas übersetzt werden sollte, und ich habe mich für eine andere Lösung entschieden.
- Sie kennen eine andere Formulierung aus bereits vorliegenden Übersetzungen und fragen sich, warum ich dieses Mal davon abgewichen bin.
- Sie haben selber online bestimmte Begriffe recherchiert, als Ihnen die Übersetzung vorlag, und fragen sich, warum ich andere Übersetzungen verwendet habe als die, die Sie gefunden haben.
- Sie haben eine weitere Person gebeten, die Übersetzung zu lesen und zu kommentieren, und möchten deren Anmerkungen besprechen.
Welche Antworten Sie von mir hören könnten
- Sie bevorzugen eine gleichwertige Alternative, die ich in der Übersetzung verwenden kann: Manches ist tatsächlich eine Sache des Gechmacks.
- Sie bevorzugen eine FAST gleichwertige Alternative, aber ich habe sie aus stilistischen oder zielgruppenbezogenen Gründen bei der Übersetzung nicht verwendet: Jetzt verstehen Sie meine Wortwahl besser.
- Sie bevorzugen eine Alternative, die Ihrer Meinung nach besser den Sachverhalt darstellt: Das liegt eventuell daran, dass Sie Hintergrundkenntnisse besitzen, die eine Bedeutungsnuance hinzufügen, die sich nicht aus dem Wortlaut des Originaltexts ergibt. Solche Feinheiten kommen gerne bei kurzen Auflistungen von Leistungen oder Kundennutzen vor. Doch bei derlei stichpunktartigen Beschreibungen sind die unausgesprochenen Nebenbedeutungen besonders wichtig. Gut, dass Sie das angesprochen haben!
- Ihre bevorzugte Übersetzung ist korrekt: Ich lerne nie aus und freue mich, wenn Kunden sich die Zeit nehmen, mir etwas zu erklären. Und Sie wissen, dass Sie ab jetzt die richtige Übersetzung in meinen Texten vorfinden werden.
- Sie bevorzugen irrtümlich eine andere Formulierung: Es gibt hartnäckige Übersetzungsirrtümer, die sich einfach nicht ausrotten lassen. So wird das deutsche „Impressum“ bei Webseiten viel zu oft als „Imprint“ im Englisch wiedergegeben. Wer online nach einer Übersetzung schaut oder recherchiert, wie es andere deutsche Unternehmen auf ihrer Website handhaben, wird fälschlicherweise „Imprint“ als korrekte Lösung annehmen. Ein „Imprint“ ist aber für den englischen oder amerikanischen Muttersprachler eine Art Verlagstochter eines größeren Verlages. Die deutsche Impressumspflicht hat kein genaues Gegenstück im Ausland und darum auch keine genaue Übersetzung. Hier raten Übersetzer(innen) zu Lösungen wie „Legal note“ oder noch allgemeiner „About this website“. In diesem Fall ist es besonders gut, dass Sie nachgefragt haben!
Fazit: Fragen Sie! Sie erweisen auch mir damit einen Dienst.