Übersetzung, Transkreation und bilinguales Texten: Die Unterscheidung
Else Gellinek
- April 23, 2021
- 7 min read
- Mit Übersetzer*innen arbeiten
Sie brauchen also einen Text in einer anderen Sprache als Deutsch. Im Internet begeben Sie sich auf die Suche und ertrinken bald in den vielen Begriffen, die alle etwas mit Arbeit am Text, vor allem am fremdsprachigen Text, zu tun haben. Übersetzung, Transkreation und Texten: Wer soll denn da durchblicken, was die Unterschiede sind?
In diesem Artikel also für Sie die Antwort – Was ist nun was, und wann brauchen Sie welche Dienstleistung?
Die Hauptunterscheidung: Die Grundlage des fremdsprachigen Textes
Die erste Frage, die Sie sich stellen, ist, anhand welcher Informationen der fremdsprachliche Text erstellt wird. Gibt es bereits einen Text in einer anderen Sprache, an dem dieser Text angelehnt wird? Oder gibt es eine Liste von Anforderungen und Ideen, die in einen (fremdsprachigen) Text verwandelt werden sollen?
Nehmen wir das Beispiel eines Websitetextes. Liegt er auf Deutsch vor und Sie möchten eine englischsprachige Version? Oder haben Sie eine Liste von Vorgaben für einen englischsprachigen Text, aber es gibt keine deutsche Entsprechung, weil der englischsprachige Text direkt für Ihre englischsprechende Zielgruppe bestimmt ist?
Das Textkontinuum
Vielleicht hilft eine bildliche Erklärung: Diese Beziehung zu existierenden Informationen bildet ein Kontinuum, wo wir Übersetzungen, Transkreationen und eigens geschriebene Texte einordnen können.
Übersetzungen: Die Vorlage bestimmt so ziemlich alles
Übersetzungen basieren auf einem zu übersetzenden Originaltext, der als Vorlage dient. Alles Strategische, was den Text betrifft, ist bereits entschieden und in Worte gefasst worden. Nun sollen diese Wörter in eine andere Sprache übertragen werden. Übersetzungsprinzipien wie Texttreue sind hier entscheidend.
Konkret heißt das, dass die Informationen und das Sprachniveau des Originaltextes in der Übersetzung verwendet werden. Bei der Überprüfung der Übersetzung wird also sichergestellt, dass ALLE Informationen den Weg in die Übersetzung gefunden haben.
Transkreationen: Die Vorlage ist das Sprungbrett zu einem wirksamen neuen Text
Transkreationen sind auf unserem Kontinuum ein Schritt weiter weg von einem Originaltext in einer anderen Sprache. Für sie wird nämlich eine Kombination von Textvorlage und Kundenbriefing genutzt, um aus einer Rohübersetzung in einem weiteren Schritt eine Transkreation zu machen. Sie können es sich so vorstellen, dass ein strategisch erstellter Text für die neue Zielgruppe übersetzt wird.
- Schritt 1: Die Rohübersetzung, die alle Informationen des Originaltextes enthält, wird erstellt.
- Schritt 2: Der Originaltext wird beiseitegelegt. Der Blick geht zum Briefing. Nach den Zielvorgaben des Briefings wird die Rohübersetzung strategisch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Zielgruppe überarbeitet.
Bei der Überprüfung einer Transkreation liegt der Fokus darauf, ob die im Transkreationsbriefing spezifizierte Wirkung erzielt wird. Ob Informationen, Bilder oder Reihenfolgen des Originaltextes verändert wurden, ist nicht wesentlich. Hauptsache alle Änderungen dienen dem Ziel der emotionalen Wirkung bei der neuen Zielgruppe.
Eigens getextete Texte: Das Briefing liefert alle Informationen für einen einzigartigen Text
Originale Texte haben keine Beziehung zu einem vorliegenden Text in einer anderen Sprache. Sie sind auf unserem Kontinuum am weitesten von Übersetzungen entfernt.
In diesem Fall enthält das Kundenbriefing alle wichtigen Informationen für die Texterstellung. Aus den Vorgaben und Zielsetzungen des Briefings wird ein Text formuliert. Bei der Überprüfung des Textes wird anhand des Briefings bewertet, ob der Text die darin formulierten Vorgaben erfüllt.
Besonders an dieser Situation ist, dass bei der fremdsprachlichen Texterstellung der Auftraggebende oft die neuen Texte nicht selber lesen kann. Hier werden passend Lektorate oder Bewertungen der Texte in Auslandsstandorten oder Tochterunternehmen angefragt. Je nachdem, wie alltäglich diese Prozesse für Kund*innen sind, sind viele Erklärungen und Gespräche wichtig, da die Zielgruppe der Texte einen Schritt weiter entfernt ist, als wenn alle Textarbeiten in einer gemeinsamen Sprache erfolgen.
Wofür brauchen Sie nun was?
Gegenfrage: Was soll der Text bewirken?
Informative Texte
Informative Texte benötigen in der Regel eine Übersetzung, die sich durch Texttreue zum Original auszeichnet. Hier stehen Fakten und Informationen im Vordergrund. Es ist wichtig, dass die neue Leserschaft alle Informationen des Ausgangstextes erhält. Hier wird auf die richtige Terminologie und die richtige Reihenfolge der Informationen geachtet.
Beispiele
- · Juristische Texte: Verträge, Gutachten
- · Technische Texte: Teilelisten, Gerätebeschreibungen
Persuasive Texte
Persuasive Texte sollen in den Lesern etwas auslösen (ein Gefühl, eine Handlung) oder sie dienen Ihrem Imageaufbau. Hierfür sind Transkreationen oder eigens getextete Texte angebracht. Natürlich sind Informationen nicht unwesentlich, aber der primäre Fokus liegt auf der erzielten Textwirkung.
Beispiele
- · Pressemitteilungen
- · Social-Media-Beiträge, Blogs
- · Webseiten
- · interne, an Mitarbeiter gerichtete Kommunikation
Faustregel: Je mehr Sie Leser emotional packen wollen, desto relevanter wird es, in der Kommunikationskultur der Zielgruppe zu denken – und desto weniger wichtig wird die Texttreue.
Praxisbeispiel Helvetas
Schauen wir uns die Umsetzung auf einer Website an, wo sich Übersetzung, Transkreation und Texten ergänzen. Hier können Sie gut sehen, wie oft eine Mischung der Dienstleitungen benötigt wird.
Helvetas ist eine Schweizer Entwicklungsorganisation für internationale Entwicklungsarbeit. Während sie mit mehreren Büros in der Schweiz vertreten ist, ist sie gleichzeitig in den USA aktiv. Seit einigen Jahren hat Helvetas USA in Washington D.C. ihren Hauptsitz.
In einem Interview im Fundraiser Magazin sprachen Vertreter von Helvetas über die Unterschiede zwischen dem Fundraising in der Schweiz und in den USA. Ein Besuch auf der Website zeigt, wie sich diese Unterschiede auch in den unterschiedlichen Webauftritten niederschlagen.
Transkreiert: das gemeinsames Grundkonzept im Webdesign
Ein kurzer Blick über die Websites von Helvetas in der Schweiz und Helvetas USA fördert einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede, zu Tage.
Beide Websites haben gemeinsame Designbausteine, unterscheiden sich aber in Kernpunkten. Während Helvetas in der Schweiz auch Privatspender anspricht, richtet sich Helvetas USA an Stiftungen und USAID, die amerikanische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit.
In den USA gibt es also eine andere Zielgruppenstruktur als in der Schweiz.
Auf der Schweizer Seite gibt es folglich einen zusätzlichen Menüpunkt „Was Sie tun können“, der Spender direkt anspricht – typisch für die B2C-Kommunikation (Kommunikation mit Verbrauchern).
Auf der amerikanischen Seite fehlt dieser Punkt. Hier werden institutionelle Spender angesprochen und das fällt eher unter B2B-Kommunikation (Kommunikation mit anderen Unternehmen).
Auf der Basis eines gemeinsamen Grundkonzepts werden hier also Anpassungen für die spezifischen Zielgruppen vorgenommen.
Bilingual getextet: die News
Bei den von Helvetas geposteten Neuigkeiten sieht man, dass jeweils direkt für die individuellen Zielgruppen getextet wird. Hier wird nicht übersetzt oder transkreiert.
Das ist sinnvoll, da Schweizer Inhalte, die Privatspender ansprechen, bei amerikanischen Stiftungen wenig bewirken würden. Helvetas USA deckt nicht die gleiche Bandbreite ab wie ihre Schweizer Schwester. Für die USA muss also eigener maßgeschneiderter Content erstellt werden.
Übersetzt: ein Pop-up
Bevor man die News-Seite verlässt, wird man auf der Schweizer und auf der US-amerikanischen Seite per Pop-up dazu aufgefordert, den Newsletter zu abonnieren. Die ersten zwei Zeilen in der englischen Variante sind eine direkte Übersetzung des deutschen Originaltexts. Das ist sofort an der fehlerhaften Übersetzung von „eindrücklich“ als „impressive“ zu erkennen.
Das unterschiedliche Bildmaterial und der Zusatz zur Corona-Pandemie im Schweizer Text sind wieder transkreative Änderungen, um den verschiedenen Zielgruppen gerecht zu werden.
Der Dreiklang in internationalen Webseiten: Übersetzung, Transkreation und Texten
Das Helvetas-Beispiel zeigt sehr schön die unterschiedlichen Einsatzbereiche von Übersetzung, Transkreation und Texten. Gleichzeitig wird auch klar, wie sich die drei Techniken ergänzen können.
Nicht alles muss eigens für verschiedene Zielgruppen getextet werden und nicht alles wiederum muss immer übersetzt werden. Die geschickte Kombination ist ressourcenschonend und wirkungsmaximierend.
PS Noch ein Tipp, wenn Sie sich von den vielen Fachbegriffen in der Übersetzungswelt erschlagen fühlen: Im Info-Regal habe ich ein handliches Glossar für Übersetzungsterminologie für Sie.